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Nachrichten

1 Juli 2014

Bericht über eine Reise nach Engels


Anfang Mai bin ich mit einer Schülergruppe des Johannes Rau-Gymnasiums in Wuppertal nach Engels, der Stadt an der Wolga, geflogen. Ich war im November 2012 schon mal dort, im Rahmen einer Delegiertengruppe der Kulturbrücke Wuppertal-Engels. Nun wollte ich die Stadt auf eigene Faust kennenlernen, zur Sommerzeit, wenn man auch gut durch die Stadt flanieren kann.

Viele meiner Landsleute, vor allem wir Westdeutsche, kennen von ihren Urlaubsreisen viele Länder in West- oder Südeuropa: Italien, Frankreich, Spanien. Hier machen wir oft Urlaub, sprechen ein wenig die Sprache oder können uns auf Englisch verständigen. Doch der Osten Europas, vor allem das weite Russland, ist uns ein unbekanntes Land. Die Sprache ist fremd und die Zeit des kalten Krieges ist vielen noch in Erinnerung, wo in unseren Nachrichten meist nur negativ über Russland berichtet wurde. Meine erste Reise nach Engels hat mich doch neugierig gemacht auf das Land, in dem wir so  herzlich empfangen wurden und wir Delegationsmitglieder bald das Gefühl hatten, dort Freunde gefunden zu haben.

Seit einigen Monaten habe ich versucht, mir Grundkenntnisse der russischen Sprache anzueignen und als sich im Frühjahr die Gelegenheit bot, mit der Schülergruppe wieder nach Engels zu fahren,  habe ich nicht lange gezögert und die Gelegenheit beim Schopfe gefasst.

Und ich habe es gut getroffen. Mein Hotel lag gleich am Ufer der Wolga. Von meinem Fenster aus sah ich auf den Fluss und am Morgen wurde ich vom Konzert der Wolgafrösche geweckt.

Am Abend saß ich mit den beiden Lehrerinnen, die die Schülergruppe begleitet haben, auf der Hotelterrasse und genossen die sommerlich laue Luft, die Abendstimmung und den wunderschönen Blick auf den Fluss genießen – während es in der Heimat in Deutschland kalt war und dauernd regnete. Oder wir gingen wie die Stadtbewohner über die Promenade spazieren. Dabei konnten die das Abendleben in Engels in Engels beobachten. Die Jugendlichen sammelten sich in kleinen Gruppen. Paare gingen spazieren, und schoben ihren Kinderwagen, von Joggern überholt. Und Eltern mit Kindern vergnügten sich im Luna-Park.

Natürlich habe ich bei der privaten Reise auch die Personen und Institutionen besucht, die ich bei der ersten Reise über die Kulturbrücke kennengelernt hatte. Mein erster Besuch galt dem Museum, mit  dem ich gerne die Kooperation vertiefen wollte. Der Zeitpunkt war gut gewählt. In einem Raum  im Landesmuseum baute man gerade an einer neuen, viel größeren Wuppertal-Ausstellung. Ich hatte einige Exponate und Materialien mitgebracht und wir haben über die Gestaltung dieser Ausstellung als auch über künftige Projekte beraten. Ohne es so geplant zu haben war ich im Laufe der Woche an drei Tagen dort im Museum und ich hoffe, dass das dies ein „Meilenstein“, ein wichtiger Schritt zur künftigen Zusammenarbeit wird.

Meine wichtigste Anlaufstelle in Engels war das Zentrum der deutschen Kultur. Hier musste ich nicht mit meinen paar Brocken russisch zurechtkommen sondern konnte mich in meiner Muttersprache verständigen. Auch hier wollte es der Zufall, dass gerade das 25. Jubiläum des ZDK gefeiert wurde und ich mit den Schülern bei dem Fest dabei sein konnte

Olga, die wunderbare Dolmetscherin, hat mir dann auch an einigen Tagen zur Seite gestanden, als es um die Verständigung im Museum oder bei anderen Gelegenheiten ging – hier nochmal ganz herzlichen Dank!!!

Ich war schon bei der ersten Reise fasziniert von dem riesigen Fluss, der Wolga. Und über Alexander, dem Mitarbeiter beim ZDK und Vorsitzender der Vereinigung „Wiedergeburt“, bekam ich die Möglichkeit, einen Ausflug auf eine Wolgainsel und die Wolga zu machen.  Mit ihm und seinem Sohn habe ich einen schönen Abend in einer kleinen Ferienkolonie und auf dem Motorboot verbracht, bei Bier und Suppe, und einer kleine Wanderung über die Insel. Vor allem die kleine Bootsreise mitten auf der Wolga werde ich bestimmt nicht vergessen. Am Horizont das westliche Ufer, auf der anderen Seite in der Ferne das östliche Ufer. Im Südwesten sah man die alte Brücke zwischen Saratow und Engels und im Norden die neue lange Brücke der Umgehungsstraße.

Im Deutschen Kulturzentrum konnte ich mir auch ein Fahrrad leihen und so damit konnte einen viel  größeren Teil der Stadt kennenlernen. Erstaunlich fand ich die Gegensätze, holprige Straßen gleich in der in der großen gepflegten Plätze und Prospekte der Innenstadt, die kleinen alten und schön verzierten Holzhäuser neben den  großen Hochhäuser. Viele neue Hochhäuser waren im Bau.

Mit dem Fahrrad wollte ich gerne die Thälmann-Straße und den Engels-Prospekt abfahren und kennenlernen.  Zu Hause in Wuppertal biete ich als Mitarbeiter des „Engelshauses“ in Wuppertal Stadtführungen zu Friedrich Engels und zu anderen stadtgeschichtlichen Themen an.

Auch der deutsche Politiker Ernst Thälmann ist mir wohlbekannt. Nach meinem ersten Besuch in Engels hatte ich im historischen Museum in Wuppertal einen Vortrag über die Stadt Engels und ihre Geschichte gehalten. Dabei habe ich mich auch mit den vielfältigen Verknüpfungen zwischen der deutschen und russischen Geschichte beschäftigt. Gerade hier in der Stadt Engels, die zeitweise die Hauptstadt der Wolgadeutschen Sowjetrepublik war, lassen sich noch einige Spuren davon finden.

So habe ich in der Nähe des Engels-Prospekt auch das Gebäude der ehemaligen pädagogischen Hochschule entdeckt, das 1941 als erste und einzige deutsche Hochschule in der Sowjetunion und Russland eröffnet wurde – auch ein Zeugnis der Verbindung unserer beiden großen Nationen.

An einem Tag bin ich mit der Schülergruppe in Saratow, der Großstadt am anderen Ufer der Wolga,  gewesen. Von einem Hügel über der Stadt, dem Park des Sieges und der Siegessäule, hatte man eine wunderbare Aussicht auf die Stadt und den Fluss. Von einem Aussichtsturm sah man die Inselwelt der Wolga, nördlich der Stadt Engels, am besten.

Im Park des Sieges fanden sich viele Exponate, frühe Maschinen und Traktoren aus der Zeit der Industrialisierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion. Ein Dorf mit traditionellen Häuser berichtet von den verschiedenen Volksgruppen, die dort an der Wolga leben oder gelebt haben. Doch im „Park des Sieges“ sah man vor allem ausrangiertes Kriegsgerät: Panzer und Militärflugzeuge, erinnerten an den Sieg über Hitlerdeutschland. Der Jahrestag des Sieges, der 9. Mai, war erst vor ein paar Tagen gefeierte worden, und bei Passanten und Autos sah man nach das Festband, das „Georgsband“, das an diesen Festtag getragen wurden. Mit Orden und Feiern werden die Veteranen des Krieges geehrt. Auch im Zentrum zur kreativen Entwicklung der Kinder wurde dieser Tag begangen. Swetlana Nikolajewna, die Leiterin der Einrichtung, zeigte mir das kleine Museum, das aus Anlass des Jahrestages eingerichtet wurde und  Erinnerungstücken der Veteranen aufbewahrt.

Hier in Deutschland gehen wir anders mit dieser Erinnerung um – Panzer sind als Erinnerungsdenkmale eher verpönt und die Teilnehmer des Kriegs, Soldaten die damals in Russland gekämpft haben, sprechen meist nicht von ihren Erinnerungen. Selten erinnert man sich hier an das Leid, das die Deutschen in Russland verursacht haben. Und doch verbindet unsere beiden Völker diese tragische Geschichte und ich würde mir sehr wünschen, das man genauso viele Anstrengungen unternimmt, die beiden Völker einander näher zu bringen wie es etwa mit Frankreich und Deutschland in den letzten Jahrzehnten geschehen ist.

Wie schon bei der ersten Reise, fühlte ich mich sehr wohl unter den Menschen und bin voller guter Eindrücke nach Hause gefahren. So ging es wohl auch den Schülern bei der Abreise. Sie konnten sich von ihren russischen Freundinnen und Freunden kaum trennen – und auch ein paar Tränen konnte man beobachten. 

Reiner Rhefus


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